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Von ‹guten› und ‹schlechten› Mädchen

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(Die Idee zu diesem Post verdanke ich übrigens dem Artikel «I’m not like other Girls».)

Wer kennt es nicht*: Antworten der Art «Du bist eben nicht wie andere Mädchen.», wenn eine Betroffene auf verallemeinernde Aussagen über Menschen des weiblichen Geschlechts hinweist. Fast noch häufiger scheint diese Aussage aber von der ‹Gegenseite› zu kommen: «Die anderen Mädchen sind $so; ich bin anders

Was bedeutet diese Aussage eigentlich? Und ist das hilfreich?

Dazu möchte ich im Vorfeld anmerken, dass sich Aussagen dieser Art meistens auf Stereotypen und Verallgemeinerungen – u.U. eben sexistischer Natur – beziehen. Möglicherweise gibt es auch andere Kontexte, ich jedoch beziehe mich hier nur auf diesen.

Was ist nun also die Grundaussage einer solchen Antwort auf eine Verallgemeinerung? «Die Verallgemeinerung stimmt, ich bin nur die regelbestätigende Ausnahme.» Von einer Person, die die ursprüngliche Behauptung verteidigen will, kann ich das noch verstehen – was natürlich erstmal nichts über den Wahrheitsgehalt selbiger aussagt. Warum aber postuliert man auch Stereotype, die einen selbst in einen Topf schmeißen, dem man sich nicht zugehörig fühlt? Das ist einerseits unsozial, da man Andere ‹opfert›, um sich selbst aus der Affaire zu ziehen, und verkennt andererseits das Grundproblem.

Ich habe dazu eine Theorie. Wenn man mit einer Generalisierung konfrontiert wird, die einem selbst nicht gefällt – sei es nun, weil sie schlicht nicht zutrifft oder sogar beleidigend ist – so hat man mehrere Möglichkeiten: Man kann einerseits die Praxis der Klischeereproduktion selbst kritisieren, also sowohl Grundaussage als auch Einordnung ablehnen. Dies ist vermutlich die aufwendigste Variante, die gleichzeitig am wenigsten Verständnis ernten wird. Behandeln wir sie daher hier erstmal nicht im Detail. Andererseits kann man das reproduzierte Klischee selbst kritisieren, ohne jedoch den Wahrheitsgehalt von klischees an sich zu hinterfragen. Das ist natürlich ebenso legitim, aber auch schwierig, da hier häufig mit Statistiken oder anekdotischen Beweisen gekontert wird. Das dahinterstehende Prinzip wird in diesem Fall nicht angetastet.

Zudem wird in beiden Fällen die betroffene Person als Beschwerdesteller aufgefasst, die Gegenseite fühlt sich womöglich noch beleidigt und geht in die Defensive.

Aber vor allem muss man die Tatsache anerkennen, grade stereotypisiert und ggf. beleidigt worden zu sein. Man wurde grade in eine Schublade gesteckt. Eine, die einem nicht gefällt – vielleicht, weil man sich selbst so nicht empfindet; vielleicht, weil man so nicht sein möchte; vielleicht sogar, weil man deren ‹Inhalt› als negativ empfindet. Möglicherweise ist diese Schublade mit einer Eigenschaft beschriftet, die man gar nicht ablegen kann – man kann sich also gar nicht direkt gegen diese Einsortierung wehren.

Insbesondere bei verallgemeinernden Aussagen in Bezug auf Dinge, für die man nicht verantwortlich ist, scheint mir dies schwierig zu sein. Dazu kommt dann noch der Hintergrund der Aussage – was hat überhaupt dazu geführt, dass jemand dieser Ansicht ist? Des weiteren kommen dann noch Erfahrungen, die der/die Betroffene selbst schon gemacht hat – die vielleicht sogar das Klischee bestätigen und damit keine gute Grundlage für Gegenargumente oder andersartige Beispiele bieten – hinzu.

Da hingegen ist es auf den ersten Blick viel einfacher, sich einfach aus der genannten Menge auszuklammern: man vollführt einen No true Scotsman. «Die reden gar nicht von mir.» Denn das ist leicht. Man muss nicht widersprechen oder sich überhaupt erst angesprochen fühlen (wer wird schon gern herabgesetzt), ist aber gleichzeitig aus dem Schneider in Bezug auf die geäußerte Behauptung. Könnte es sich dabei also um schlichtes Selbstschutzverhalten handeln?

Leider ist diese Taktik nur begrenzt hilfreich. Einerseits verhindert sie nicht die zukünftige Einteilung von Menschen in Schubladen oder die Zuschreibung von Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen anhand damit nicht in Zusammenhang stehender Eigenschaften oder weist den Sprecher überhaupt darauf hin. Andererseits unterstützt es sogar noch das dahinterstehende Weltbild, nachdem das Klischee ja offensichtlich stimmt. Und wenn man eine Gruppe herabsetzt, der man nicht angehört, ist das ja (gefühlt) gar nicht so schlimm – die sind schließlich ‹wirklich so› (und haben selbst schuld, wenn sie eben ‹schlecht› sind).

Ebenfalls problematisch ist, dass auf diese Weise suggeriert wird, die Grundannahme sei korrekt und eine Hinterfragung, warum eventuell vorhandene statistische Prävalenzen existieren, verhindert wird.

Und letztendlich begünstigt es eine Einteilung von Menschen – in diesem Fall weibliche – in ‹gut› und ‹schlecht›. Wobei paradoxerweise die ‹guten› aber gar nicht «wie Mädchen» sind, da sie ja dem Klischee widersprechen – in diesem Zusammenhang etwas positives. Woraus sich dann womöglich noch die Aussage ergibt, (stereotyp) ‹mädchenhaftes› sei schlecht.

Meiner Vermutung nach steckt noch etwas hinter dieser Abgrenzung: Selbst unter vielen Mädchen ist es mittlerweile verpönt, ein ‹Mädchen› (oder zumindest ‹mädchenhaft›) zu sein. Nach dem Motto: «Mädchenhafte Mädchen sind schlecht, weil mädchenhaft schlecht ist.» (siehe dazu auch dieses Zitat aus Der Zementgarten) Aber was ist eigentlich «mädchenhaft»?

Die Sache ist, dass es hierbei keine Gewinner geben kann. Auch für die im konkreten Fall nicht ‹angegriffene› Gruppe sind Stereotype letztendlich negativ, da sie Gegenstereotype hervorrufen oder mit wohlwollender Diskriminierung verknüpft werden und das alles insgesamt einen Nährboden für diskriminierendes Verhalten erzeugt und bereitstellt. Außerdem bedroht Diskriminierungsfreiheit der einen Seite ohnehin nicht automatisch die andere. Das ist vor allem auch deshalb blöd, weil es meistens von denjenigen ausgeht, die eigentlich hauptsächlich davon betroffen sind.

Da stellt sich doch die Frage: Will ich das? Will ich das mich beleidigende, herabsetzende oder diskriminierende Stereotyp bestätigen? Will ich andere Menschen in der gleichen Weise behandeln, wie es grad mit mir geschehen ist? Will ich zulassen, dass dies durch andere geschieht?

(Ich will hier übrigens niemanden beleidigen oder pauschal beschuldigen. Ich glaube, niemand ist davor gefeit, sich mal in einer Art zu äußern, die dem oben genannten oder einem anderen negativen Schema entspricht. Deshalb ist – sofern es nicht mit Absicht passiert ist – aber noch niemand ein schlechter Mensch. Jeder macht Fehler. Die Frage ist, wie man damit umgeht, wenn man darauf hingewiesen wird oder sie selbst bei sich erkennt.)

* Ich will natürlich nicht anzweifeln, dass es Menschen gibt, die diese Erfahrung nicht gemacht haben. Ich habe sie schon häufiger gemacht, auch und insbesondere im Netz.

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